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Die Schmierung von natürlichen Gelenken
Da das Thema meiner Doktorarbeit „Biophysikalische Aspekte der Schmierung natürlicher Gelenke“ lautete, möchte ich dieses Thema und die Resultate hier noch einmal darstellen.
Ziel der Arbeit war es zu untersuchen, wie der Schmiermechanismus in natürlichen Gelenken auf molekularer Ebene funktioniert. Derzeit verwendete Gelenksimplantate haben eine Lebensdauer von ca. 10 – 15 Jahre, ein natürliches Analoga kann es auf bis zu 100 Jahre bringen. Um einen Einstieg in dieses interessante Thema zu finden, zeigt Abbildung 1 ein Beispiel für ein solches Gelenk.
Abb. 1: Derzeit verwendete künstliche Hüftgelenke, bestehend aus einer Gelenkkugel und Gelenkpfanne; Abbildung /1/ entnommen
Das Hauptproblem von derzeit verwendeter Implantate ist die Auswahl der Materialien. Meist besteht die Gelenkkugel aus Edelstahl und die Pfanne aus einem Kunststoff (Teflon, Nylon, Polyethylen). Hauptprobleme dieser Konstruktionen sind, das die Kugelpfanne und die Kugel gegeneinander reiben und so allmählich die Oberflächen der Teile beschädigen. Wenn man die Belastung des Gelenkes hochrechnet, kommt man zu folgenden Ergebnis:
350 Bewegungen am Tag * 365 Tage im Jahr * 15 Jahre = ~ 2.000.000 Bewegungen (2 Millionen)
Wenn man das ganze auf das natürliche Gelenk überträgt und eine Lebensleistung von 70 Jahren annimmt, sind wir bei der gleichen Anzahl von täglichen Bewegungen bei 9 Millionen Bewegungen. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass man sich in jungen Jahren viel mehr bewegt.
Wenn wir uns nun mit dem Gelenk im Detail beschäftigen wollen, soll hier ein Schnitt durch das Gelenk betrachtet werden. Den Aufbau einen solchen Gelenks zeigt Abbildung 2.
Abb. 2: Aufbau eines künstlichen Gelenkes (Knie oder Hüfte). Basis des Gelenkes ist ein Knochen, auf welchen der Knorpel aufgewachsen ist. Der Knorpel besteht hauptsächlich aus dem Biopolymer Kollagen, weiterhin beherbergt er 40 % Wasser und lebende Knorpelzellen. Später wurde bewiesen, dass die Knorpeloberfläche mit Lipidmembranen behaftet ist.
In der eigenen Arbeit wurde die Rolle dieser Lipide für die Architektur und Funktionsweise des Gelenkes studiert. Die Gelenkkugel und –pfanne sind durch den Gelenkspalt getrennt, der mit der Synovialflüssigkeit gefüllt ist. Hauptbestabteile neben Wasser, Kochsalz und Proteinen sind die Hyaluronsäure (HS) und das Lipid DPPC.
Abbildung 3 illustriert für den interessierten Leser die Strukturen der Hauptkomponenten der Synovilaflüssigkeit.
Abb. 3: Moleküle der Synovialflüssigkeit. A zeigt eine Monomereinheit der Hyaluronsäure. Es ist zeitgleich ein Polysaccharid (umgangssprachlich: Zucker) und ein Polyelektrolyt (enthält saure, dissoziierte Carboxylgruppe und ist daher geladen). Die Hyaluronsäure hat ein Molekulargewicht von 1.000.000 g/mol. Das Molekulargewicht ist ein Maß, wie schwer ein Molekül ist. Zum Vergleich: Wasser (H2O) hat ein Molekulargewicht von 18 g/mol, die Schwefelsäure (H2SO4) von 100 g/mol und Uran (U) von 240 g/mol. Daran kann man erkennen, dass 1 Million sehr groß ist. Abbildung B zeigt das Phospholipid DPPC. Es hat wie alle Phospholipide einen geladene Kopfgruppe und einen lange, hydrophobe Schwanzgruppe, welcher aus zwei Strängen besteht. Die Kopfgruppe kann positiv, negativ oder bivalent (positiv und negativ) geladen sein. Viele in der Natur vorkommende Phospholipide haben eine zweifache Ladung. Eine wichtige Eigenschaft von Lipiden ist, dass sie bei physiologischen Bedingungen sowohl in der festen, kristallinen Phase als auch in der flüssigen Phase vorliegen können. Der Übergang von der einen Phase zur anderen ist durch die Phasenübergangstemperatur gekennzeichnet. Das DPPC hat eine Phasenübergangstemperatur von 41 °C, es liegt im Gelenk also in der festen (kristallinen) Form vor. Eine oberhalb der Phasenübergangstemperatur vorliegende Lipid Doppelschicht wird auch als zweidimensionale Flüssigkeit bezeichnet, da sich in der flüssigen Phase die Lipid in zwei Raumrichtungen bewegt werden können (also in x und in y Richtung im Koordinatensystem). Bei einer dreidimensionalen Flüssigkeit wie Wasser können sich die Moleküle in drei Raumrichtungen bewegen (x, y und z Richtung). Für weitere Informationen über die Lipide sei auf den Artikel „Präparationen von Lipidvesikeln“ in der Rubrik „Präparationen“ auf dieser Homepage hingewiesen. C: zeigt zum Vergleich zum B ein Tensid. Wie der Leser erkennen kann, besitz auch dieses Molekül eine geladene Kopfgruppe und einen hydrophoben Schwanz. Bei dem in C abgebildeten Tensid ist erkenntlich, das es wesentlich einfacher aufgebaut ist. Es hat nur einen geladen Gruppe, die Schwanzgruppe ist nur 40 % so lang wie beim DPPC und es hat nur eine Kohlenwasserstoffkette. Anionische und kationische Lipide finden Anwendung in Seifen, Waschmittel, Shampoos und anderen Waschmittel und Körperhygieneprodukten. Aber es ist weiterhin bekannt, dass Tenside auch als Schmiermittel fungieren können. Dem interessierten Leser sei folgendes Experiment vorgeschlagen: Man weiche ein Stück Seife (und damit Tensid) in Wasser auf, legt es auf den Fussboden, nimmt Anlauf und springt auf die Seife. Man wird erkennen, dass es einen deutlichen Unterschied besteht zwischen dem Fussboden und dem Stück Seife.
Nach dem wir uns angeschaut haben, wie so ein Gelenk aufgebaut ist und aus welchen Materialien es besteht, wollen wir uns nun der Funktionsweise und eventuellen Ursachen für das Gelenkserkrankungen beschäftigen. Gehen wir noch einmal zurück zum Aufbau des Gelenkes. Wichtig für das funktionieren des Gelenkes ist die Schnittstelle zwischen Knorpel und Synovialflüssigkeit, welches ein sehr sensibles System darstellt.
Für die eigenen Arbeiten war es also nötig, das Verhalten des Gelenkes unter mechanischer Belastungen (Druck und Scherkräfte) zu untersuchen. Dabei wurde in teils sehr aufwendigen Neutronenstreuexperimenten (siehe Artikel „Reflektometrie“ in der Rubrik Techniken) ein Modelsystem unter Druck studiert. Ich möchte hier nur kurz auf das Ergebnis eingehen. Es wurde eine Hyaluronsäure-Lösung (3,6 mg/ml, 0,15 mol/l NaCl, pH = 7, 37°C) bei 50 bar gegen ein dem Knorpel ähnlichen Polymer gedrückt. Als Hauptergebnis der Druckversuche wurde beobachtet, das der Knorpelersatz etwa 30 % an Wasser und Schichtvolumen verloren hat. Anschließend wurde der Druck auf 100 bar erhöht und anschließend wieder auf Normaldruck entspannt. Dabei konnten keine Veränderungen im System festgestellt werden. Der im Experiment vorherrschende Druck von 50 bar kann jederzeit lokal im Gelenk auftreten. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die hygroskopische (wasserentziehende) Hyaluronsäure dem Knorpel bei einem leichten Druck Wasser entzieht. Über den Nutzen dieser Entdeckung wird später eingegangen. Dies war also das Experiment von dem System Knorpel / ohne Lipidfilm an Grenzfläche. Im nächsten Versuch wurde die HS-Lösung gegen einen Lipidfilm mit bis zu 600 bar gedrückt, ohne das sich im Modelgelenk ein Parameter geändert hat.
Was hat dieses Ergebnis in Hinblick auf die Schmierung von den Gelenken zu tun? Fassen wir noch einmal zusammen: Bei den intakten Gelenk mit voll ausgebildete Lipidfilm ist der Knorpel ein sehr stabiles System und wird nicht von der wasserentziehenden Hyaluronsäure angegriffen. Fehlt diese Schutzschicht, so greift die Hyaluronsäure den Knorpel an. Doch wodurch kann der Schutz- und Schmierfilm angegriffen werden? Schädigung der Synovialflüssigkeit und dadurch im gesamten Gelenk können durch Fett, Alkohol, schlechtes Essen oder Mangelernährung (z. B. in der Kriegsgeneration), Rauchen und Umwelteinflüsse eintreten. So gelangt beispielsweise bei übergewichtigen Personen Fett in das Gelenk, welches aufgrund seiner hydrophoben Natur in den Lipidfilm eindringen können und den Film beschädigen. Es können sich Ablagerungen der Schadstoffe an der Knorpeloberfläche bilden, die den Lipidfilm schädigen. Günstig für ein Gelenk ist ausreichend Bewegung, da dadurch die Hyaluronsäure wieder neu gebildet wird.
Für eingehendere Darstellung dieser These sein an dieser Stelle auf meine Dissertation verwiesen, die unter der Rubrik „Download“ herunter geladen werden kann
Um das Schmierverhalten der Synovialflüssigkeit zu untersuchen, wurden rheologische Studien mit Hyaluronsäure / Lipidmischungen durchgeführt. Bei der Rheologie wird die Viskosität von Flüssigkeiten („Zähflüssigkeit“) untersucht, in unseren Fall die scherabhängige Viskosität. So hat Wasser eine sehr geringe Viskosität und ist sehr dünnflüssig, beispielsweise die Zahnpaste hat eine hohe Viskosität und ist sehr dickflüssig. Um solche Messungen durchzuführen, benötigt man ein Rheometer. Dabei handelt es sich um ein Kegel, der in einen Gehäuse rotiert, welches am Ende einen Spalt mit 1 mm hat und dieser mit der Probelösung gefüllt ist. Wenn der Kegel rotiert, muss eine Kraft aufgewendet werden, um die innere Reibung zu überwinden. Je mehr Kraft aufgewendet wird, desto höher die Viskosität der Lösung. Als variablen Parameter hat die Viskositätsmessung die Geschwindigkeit, welche einen wichtigen Informationsgehalt über die Probe hat. Die Viskosität ist in der Regel konstant, es gibt aber auch Moleküle, die verändern ihre Viskosität mit steigender Scherrate (Bewegung des Kegels). Ein solches Beispiel ist die Hyaluronsäure. Es handelt sich bei dieser Säure um eine große, zusammengeknäulte Molekülkette. Erhöht man nun die Scherrate, so strecken sich die Moleküle, sie werden länger und ihre Viskosität sinkt. Man nennt dieses Phänomen „Scherverdünnung“. Abbildung 4 zeigt, wie sich dieses Verhalten bei der Hyaluronsäure darstellt.
Abb. 4: scherabhängige Viskosität der Hyaluronsäure unter physiologische Bedingungen
So viel zur Hyaluronsäure, doch nun schauen wir uns die Synovialflüssigkeit (Hyaluronsäre, DPPC, Natriumchlorid 0,15 mol/l) an. Abbildung 5 zeigt die scherabhängige Viskosität Bei verschiedenen Lipidkonzentrationen.
Abb. 5: Einfluss der Zugabe von DPPC auf die Viskosität der der Hyaluronsäurelösung (respektive der Synovialflüssigkeit). Im gesunden Gelenk herrscht eine Konzentration 1 mg/ml (entspricht grüner Kurve)
Man erkennt bei Abbildung 4, dass die DPPC Vesikel einen sehr starken Einfluss auf die Viskosität der Lösung hat. Wie unter Abbildung 2 andiskutiert, haben die Lipide eine sehr starke Schmierfunktion. Aber wenn wir zurückgehen zum Versuchsaufbau bedeutet das, dass die Kraft für die Bewegung des Kegels drastisch abnimmt. Wodurch kommt dieser Effekt zustande? Möglicherweise haften die Liposomen in der Lösung an der Oberfläche des Rheometeraufbaus und dadurch wird die „scheinbare Viskosität“ veringert. Aber das ist genau das gleiche Phänomen wie im Gelenk. Auch dabei haften die Lipide and den Oberflächen und es befindet Liposomen in der Synovialflüssigkeit. Für ein hauptsächliches Grenzflächenphänomen spricht, das sich verschiedene Konzentrationen der Lipide kaum auf die Viskosität auswirken (siehe rote, grüne und magentafarbene Kurven in Abbildung 4). Das Lipidvesikel in der HS Lösung oberflächenaktiv sind, wurde in eigenen Messungen mittels QCM-D bewiesen (für QCM-D siehe Rubrik Techniken).
Nun soll noch die Idee einer Therapie für die Behandlung von Gelenkserkrankungen besprochen werden. Gegenwärtige Praxis bei der Behandlung solcher Erkrankungen ist es, eine Hyaluronsäurelösung in das Gelenk zu applizieren, um die Schmierwirkung wieder zu erzielen. Diese Therapie berücksichtigt jedoch nicht, dass das Lipid DPPC eine wichtige Rolle bei der Schmierfunktion spielt. Die Therapie mit der eingespritzen Hyaluronsäure ist höchst umstritten, es gab bisher keinen wissenschaftlichen Beweis für einen therapeutischen Nutzen. In vielen Ländern, darunter auch den USA, ist diese Form der Behandlung von Rheuma und Arthritis nicht zugelassen, weil der Nutzen nicht nachgewiesen ist. Das Hauptproblem der applizierten Hyaluronsäure ist, dass es sich dabei um ein Polysaccharid (umgangssprachlich Zucker) handelt. Dieser wird von den Knorpelzellen als Nahrung verwendet und ist ca. 14 Tage nach der Injektion von den Knorpelzellen sozusagen „aufgefressen“. Nun haben wir aber gelernt, dass die Lipide eine wichtige Rolle spielen. So wäre es denkbar, dass der injektierten Hyaluronsäure ein Teil Lipid Liposomen beigemischt werden, in der Hoffnung, dass sich dieser Schutzfilm für den Knorpel wieder aufbaut.
Zusammenfassung:
Durch die eigene Arbeit konnte ein verbessertes Verständnis für die Funktion von natürlichen, menschlichen Gelenken erarbeitet werden. Hauptsächlich konnte der Nutzen von oberflächenaktiven Lipiden, die auf der Knorpeloberfläche sitzen, heraus gearbeitet werden. Diese Lipide bilden sowohl einen Schmierfilm durch ihre „ölige Natur“ als auch einen Schutzfilm als Sperre zwischen dem Kollagen des Knorpels und der hygroskopischen Hyaluronsäure. Der Schmiereffekt von den DPPC wurde in rheologischen Messungen (siehe Abbildung 4) nachgewiesen. Mit diesem Wissen könnte in Zukunft ein künstliches Gelenk aufgebaut werden, die das Prinzip der Flüssigschmierung umsetzen. Ferner kann die derzeitig Therapiepraxis mit dem Einspritzen von Hyaluronsäure in erkrankte Gelenke verbessert werden, in dem Lipidvesikel zugesetzt werden.
Referenzen:
/1/ www.prothesensprechstunde.de
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